8. Februar 2024

Der Solar-Zug rollt nach wie vor

Gastbeitrag im Tagesanzeiger vom 8.2.2024

Von wegen gescheitert: Der «Solar-Express» hat viele Projekte hervorgebracht, von denen nur eine Minderzahl abgelehnt wurde. Der Erfolg lässt sich erklären.

Diverse Medien nahmen das Nein der Stimmberechtigten zur alpinen Solaranlage im bündnerischen Surses zum Anlass, den «Solar-Express» für gescheitert zu erklären. Dieses vom Parlament mit grosser Mehrheit verabschiedete Gesetz hat zum Ziel, bis Ende 2025 jährlich 2 Terawattstunden Strom mit Freiflächenanlagen in den Alpen zu produzieren – ein wichtiger Beitrag zur Deckung des Winterstrombedarfs. Rollt der «Solar-Express» wirklich nicht mehr?

Fakt ist: Von den 36 Projekten, zu denen es bis jetzt Volksabstimmungen gab, wurden 25 angenommen, nur 11 abgelehnt. Wieso lesen wir nicht von diesen 70 Prozent problemlosen Projekten, sondern von den abgelehnten? Negativschlagzeilen sind offenbar interessanter für die Medien als positive.

Eine Analyse der bisher erfolgten Abstimmungen zeigt, dass vier Faktoren entscheidend sind für den Erfolg alpiner Solaranlagen. 

1. Gut akzeptiert werden Anlagen, die nahe der bereits vorhandenen Infrastruktur und den Stromleitungen gebaut werden – wie in Samedan entlang des Flugplatzes, in Scuol im Skigebiet Motta Naluns oder in Glarus an der Muttsee-Staumauer. Ein gutes Beispiel ist auch die Anlage in Prafleuri im Kanton Wallis. Dort soll der ehemalige Steinbruch für die Staumauer der Grande Dixence neu für die Produktion von Solarstrom genutzt werden. Projekte in der gänzlich unberührten Landschaft haben es hingegen schwer.

2. Angenommen wurden bisher hauptsächlich kleinere und mittelgrosse Projekte, Megaprojekte sind (vorerst noch) meist chancenlos. Das ist nicht schlecht: Mit kleineren Anlagen lassen sich Erfahrungen sammeln, um später grössere zu bauen oder bestehende Anlagen zu erweitern. 

3. Projekte, die von lokalen Energieversorgern oder privaten Ortsansässigen geplant werden, finden eher Zustimmung. An der Gemeindeversammlung zur sorgfältig geplanten Pionieranlage in Gondo gab es keine einzige Gegenstimme. Abgelehnt werden hingegen Grossprojekte, die von Energiekonzernen aus dem Unterland ohne Rücksicht auf lokale Befindlichkeiten geplant wurden.

4. Ein frühzeitiger Einbezug der Bevölkerung ist entscheidend für das Gelingen. Dass die Leute vor Ort von Beginn weg mitgenommen werden müssen, hat mittlerweile auch der Axpo-CEO selbstkritisch eingeräumt. Für die Ansässigen braucht es einen Mehrwert, sie dürfen sich nicht über den Tisch gezogen fühlen. Dies setzt eine angemessene finanzielle Beteiligung der Gemeinde voraus. 

Der Solarzug rollt nach wie vor – auch wenn einige Projekte gescheitert sind. Eine Ablehnung bedeutet immer auch eine Chance nachzubessern. Man sollte die Bedeutung des «Solar-Express» aber nicht überbewerten. Die Leistung des abgelehnten Projekts in Surses wird alle zehn Tage auf Gebäuden und Infrastrukturen installiert. Im letzten Jahr wurden schweizweit 1,5 Gigawatt Fotovoltaik zugebaut, 40 Prozent mehr als im Jahr 2022. In Kürze wird Solarstrom 10 Prozent des Schweizer Stromverbrauchs decken. Sämtliche Energieszenarien sehen die Solarkraft als wichtigen Baustein der erneuerbaren Stromversorgung. Damit Fotovoltaik diese Stellung ausfüllen kann, braucht es sie in einem guten Mix: als alpine Freiflächenanlagen, vor allem aber auf Dächern, an Fassaden, über Parkplätzen und entlang der Autobahnen.