Das Wahlsystem für Bundesrichterinnen und Bundesrichter muss reformiert werden. Die Initiative ist aber der falsche Weg dazu.
Ich bin froh um die Justiz-Initiative. Sie bringt uns nämlich dazu, unser System zu reflektieren, wie wir das letzte Woche ja gemacht haben. Sie legt den Finger auf einige wunde Punkte unseres Wahlsystems für Richterinnen und Richter, und sie zeigt den Reformbedarf auf. Trotzdem lehne ich die Initiative ab.
Ich hoffe, Sie gehen alle mit mir einig, dass die Gewaltentrennung und die Unabhängigkeit der Justiz zentral sind für die Demokratie. Richterinnen und Richter müssen deshalb völlig unabhängig sein. Parteizugehörigkeit darf keinen Einfluss haben auf die Rechtsprechung. Im jetzigen System müssen die Bundesrichter und Bundesrichterinnen von der Bundesversammlung wiedergewählt werden. Der Druck einer theoretischen Nichtwiederwahl kann ihre Unabhängigkeit gefährden. So kann es beispielsweise sein - wie kürzlich geschehen -, dass eine Partei einen Richter, weil er parteiinkompatible Entscheide gefällt hat, nicht mehr wiederwählen will. Das darf nicht sein. Nicht geregelt ist heute die Frage einer möglichen Amtsenthebung. Auch hier besteht Handlungsbedarf, auch hier braucht es Reformen, und das müssen wir anpacken.
Reformbedarf haben wir auch bezüglich Mandatsabgaben. Diese Abgaben wurden zu Recht auch von der Greco kritisiert. Richterinnen und Richter dürfen nicht in einem Abhängigkeitsverhältnis zur Partei stehen, und auch das Umgekehrte darf nicht der Fall sein. Allerdings, und dies sage ich auch aufgrund der Voten von Kollege Fluri und Kollegin Bircher von letzter Woche, sind viele Parteien im gegenwärtigen System auf diese Abgaben angewiesen, insbesondere wenn sie keine Grossspenderinnen und Grossspender in ihren Reihen haben. Es braucht deshalb auch Reformen bei der Parteienfinanzierung. Auch dieses Problem kann mit einem indirekten Gegenvorschlag geregelt oder im Zusammenhang mit der Beratung der hängigen parlamentarischen Initiative Walti Beat behandelt werden.
Jetzt zum Losverfahren: Ich habe durchaus Sympathien dafür, aber ich glaube nicht, dass es für die Wahl der Bundesrichterinnen und Bundesrichter geeignet ist. Ich kann mir das Losverfahren vorstellen für das Zusammenstellen eines Gremiums, das beispielsweise einem gewählten Parlament beratend zur Seite steht. Ein solches Gremium, genügend gross und ausgelost aus der Gesamtheit der Bevölkerung, würde die Vielfalt der Bevölkerung wohl sehr gut widerspiegeln und wäre eine Bereicherung für die Demokratie.
Die Auswahl der Bundesrichterinnen und Bundesrichter im Losverfahren vorzunehmen, wie es die Initianten vorschlagen, halte ich hingegen für falsch. Im Gegensatz zu meinem Beispiel schlagen die Initianten ja vor, dass aus einer sehr eingeschränkten, vorselektierten Grundmenge ausgelost würde. Eine Fachkommission würde diesen Pool von Geeigneten auswählen. Wollen wir einer solchen Fachkommission wirklich so viel Macht geben? Wer würde darin einsitzen? Wären es wirklich ausschliesslich objektive Kriterien, nach denen die Fachkommission vorselektieren würde?
Eine solch enge Vorselektion läuft doch auch der Idee des Losverfahrens zuwider und gewährleistet die Diversität der Gewählten nicht. Um die gewünschte Vielfalt und ein breites Meinungsspektrum abzubilden, ist der Parteienproporz wahrscheinlich doch geeigneter. Wenn auch nicht perfekt, so ist er doch transparent. Ich wage auch zu behaupten - ich kenne das zumindest aus meiner Partei so -, dass die Parteien die Auswahl sorgfältig vornehmen.
Kurzum: Stimmen Sie dem Rückweisungsantrag zu, und geben Sie damit der Kommission für Rechtsfragen den Auftrag, die wunden Punkte - nämlich Wiederwahl, Amtsenthebung, Mandatsabgaben - anzupacken, und einen indirekten Gegenvorschlag auszuarbeiten! Falls der Rückweisungsantrag scheitert, bitte ich Sie, die Initiative zur Ablehnung zu empfehlen und den Minderheitsanträgen für einen direkten Gegenentwurf zuzustimmen.
Video zum Votum anlässlich der Nationalratsdebatte am 9.3.2021